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Kurztexte zu Wahrnehmung und Gestaltung I

Elisabeth Luchesi

tools & toys
Spielräume und Modellsituationen

In verschiedenen Gestaltungsexperimenten werden Farben und diverse Materialien auf ihre Wirkungen und (kulturellen) Zuschreibungen hin untersucht. Optische und taktile Eigenschaften spielen dabei ebenso eine Rolle, wie Klänge und Gerüche.

Im Wechsel von Aktion und sprachlicher Beschreibung entstehen vielfältige Gestaltungen. Verbunden damit ist immer auch die Dimension der Selbst-Erfahrung.

Die in solchen Gestaltungsprozessen entstandenen Bilder und Objekte sind aber nicht zwangsläufig „Kunst-Objekte“. Man könnte vielmehr von unterschiedlichen Objekt-Typen sprechen – wie z.B.: Gefühls-Ensembles-Modelle-Skulpturen-Plastiken, Emoticons und Stimmungsanzeiger,-tabellen,-schaltpläne,-raster,-sortimente, Schmuckobjekte, Mandalas, Mustervorlagen, Anschauungsobjekte, Lehrmittel, Denk-und Fühlmodelle, Erinnerungsstützen, Nachbildungen, Collagen, Spielzeug, Puppenobjekte, Fetische, Verkehrszeichen, Ansichtskarten, Wappen, Andenken, Souvenirs, Momentaufnahmen, Animationen, WortSpiele, variable Textmenüs, Texturen u.a.

Aspekte:

  • Metaphorische Bedeutungsebenen: Vermessungen, Projektionen, Kombinationen
  • Kommunikationsformen: Austausch, Ein- An- und Ausschluss, Nähe- und Distanzverhältnisse, Zuordnung, Klassifikationen
  • Perspektiven: Blickwinkelveränderungen, Positionsvariationen, Ausschnittsvergrößerungen- und verkleinerungen, Proportionen etc.
  • Kultur-und Sozialgeschichtliche Kontexte und Aspekte
  • Konzeptionelle und praktische Komponenten für Workshopaufbau etc.
  • Assoziationen (eigene Wahrnehmungen, Austausch in der Gruppe)

Kurztexte zu Wahrnehmung und Gestaltung II

Elisabeth Luchesi

Übergangsräume: Modellsituationen für Wahrnehmung und Gestaltung

Künstlerisch/gestalterisches Handeln und ästhetische Wahrnehmung werden vielfach von einem inneren Reflexionsraum ausgehend gedacht. Bei näherer Betrachtung lösen sich diese festen Abgrenzungen jedoch auf, das Innere erscheint nun nicht mehr als abgegrenztes Rückzugsgebiet oder ein spezifischer „privater Zustand". Durch Interaktion und eine Intensivierung der Wahrnehmung kann sich auch die Wahrnehmung der Körpergrenzen verändern. Wenn einem etwas „nahe geht, verschiebt sich auch die Position zum wahrgenommenen Objekt.

„Ein- und dieselbe Sache kann uns im nächsten Moment von außen zu innen werden, wenn wir zum Beispiel so etwas wie Liebe oder Zuneigung dafür spüren. Unsere Haut ist also nicht a priori der Ort, an dem die Welt beginnt und das Selbst endet. Haut als Abschluss und Grenze zwischen Innen und Außen entsteht nur, wenn wir unseren Körper isolieren und zum Objekt machen, das heißt, wenn wir ihn wie ein Ding behandeln (...)." (Baier 1998)

Dies spielt sich jedoch selten auf einem neutralen Feld ab. Auch eine mit allen Sinnen erlebte Situation ist verbunden mit Geschmacksfragen, über die man sich selbst nicht immer im Klaren ist, weil sie „natürlich“ erscheinen. Erst in der bewusst erlebten Differenz zu anderen wird die Charakteristik des eigenen Geschmacks, der Vorlieben und Vorbehalte nicht nur als Privatangelegenheit, sondern auch als eine spezifische kulturelle Mischung deutlich, mit der man sich auch dezidiert von anderen abgrenzt. „Der Geschmack ist die Grundlage alles dessen, was man hat – Personen und Sachen-, wie dessen, was man für die anderen ist, dessen, womit man sich selbst einordnet und von den anderen eingeordnet wird. Nicht zufällig behaupten sie sich dann, wenn sie sich rechtfertigen sollen, rein negativ, durch die Ablehnung und durch die Abhebung von anderen Geschmacksäußerungen (...) Vermutlich stellt die Aversion gegen andere unterschiedliche Lebensstile eine der stärksten Klassenschranken dar (...).“ (Bourdieu)

So ist selbst bei relativ bewertungsfreien Übungen ästhetischer Wahrnehmung immer auch ein latentes Konfliktpotential im Spiel. Eine transformatorische Dynamik erscheint hier ebenso wichtig, wie eine gewisse „Ritualisierung“ unentbehrlich- aber nicht im Sinne eines „Kunstpathos“.

Modellsituationen

Es geht dabei zunächst um die Frage, wie die eigene Wahrnehmung geschult werden kann. Dafür sind eigentlich keine besonderen Vorkehrungen außer einer Gestimmtheit oder Verfassung, die Unvoreingenommenheit ermöglicht, nötig: Man könnte auch sagen eine bestimmte Konzentration. "Diese Konzentration auf das momentane Erscheinen der Dinge aber ist stets zugleich eine Aufmerksamkeit für die Situation der Wahrnehmung des Erscheinens - und damit eine Rückbesinnung auf die unmittelbare Gegenwart, in der sie sich vollzieht. Die ästhetische Aufmerksamkeit für ein Geschehen der äußeren Welt ist so zugleich eine Aufmerksamkeit für uns selbst: für den Augenblick hier und jetzt." (Seel) Der Charme derartiger Erfahrungen besteht jedoch darin, dass sie nicht herbei zu zwingen sind. Man kann sich allerdings darauf einstellen. So kann für eine Modell-Situation des kreativen Handelns und der ästhetischen Wahrnehmung ein bestimmtes „Setting“ bereitgestellt werden. Das heißt, es wird ein Rahmen angeboten, durch den die Thematik, der Schauplatz und die Zeitstruktur definiert werden und innerhalb dessen die Erfahrungen lokalisiert, formuliert und damit auch besser erinnert werden können. In einem übertragenen Sinn könnte man dies mit den Techniken und Wirkungen vergleichen, wie sie von der Malerei/Fotographie bekannt sind: Blickwinkelveränderungen durch Positionsvariationen, Ausschnittsvergrößerungen- und verkleinerungen etc. Jede Einstellung ergibt nicht nur ein anderes Bild, sie erzielt damit auch eine andere (emotionale) Wirkung. Es wird dabei gleichzeitig auch deutlich, dass ohne jegliche Begrenzung kein stabiler Blickwinkel möglich ist.

Die in der Psychotherapie und in Coaching-Verfahren verwendete Methode des „framing“ 1) zielt auf eine ähnliche Wirkung, indem nämlich vorgeschlagen wird, eine gegebene oder vorgestellte Situation in einem anderen Kontext oder "Rahmen" zu betrachten, um eine veränderte Perspektive bzw. neue Deutungsansätze zu ermöglichen.

Im Kontext des gestalterischen Prozesses verhelfen solche Rahmen zunächst dazu, die Erfahrungen aus dem Fluss Alltagserlebens mit seinen Automatismen heraus zu heben. Auf diese Weise erhalten sie eine besondere Sinnfälligkeit und Bedeutung, die auch die Vorbedingung für den Transfer des Erlebten auf andere Situationen darstellt. Die neu gewonnenen Relativierungsmöglichkeiten können allerdings zunächst auch beängstigen, weshalb eingeplante Möglichkeiten zum Gespräch, in der Gruppe oder als Einzelbetrachtung, wichtig sind.

Das vorab ausgewählte Material und die Formulierung einer speziellen Thematik sollen dabei nicht einschränken, sondern zunächst einen Kontext anbieten, der im Verlauf des Gestaltungsprozesses nach eigenem Ermessen erweitert oder umdefiniert werden kann.

Der Akzent liegt hier auch explizit nicht auf besonderen (künstlerischen) Fertigkeiten, sondern auf der Bereitschaft sich auf das Unternehmen einzulassen.

Zum Einsatz kommen vor allem:

  • Farben, div. Materialien mit ihren spezifischen Eigenschaften und Anmutungen, verschiedene künstlerische Techniken (Experimente mit spontanen Aufzeichnungen)
  • Freies Assoziieren („brainstorming“), Elemente des ‚automatischen’ Schreibens, Visualisierung von Gedankenverbindungen („mind-mapping“), Wechsel zwischen Sprache/Schrift und Gestaltung

Wesentlich dabei ist aus meiner Sicht, dass diese Elemente nicht als isolierte Techniken verwendet, sondern als Bestandteile eines gestalterisch/kreativen Prozesses aufgefasst werden:

Zunächst geht es darum, sich nicht auf ein bestimmtes Endergebnis des Handelns zu fixieren, sondern sich auf einen Ablauf einzustellen, der - wie eine Wanderung im unbekannten Gelände - die unterschiedlichsten Richtungen und Wendungen annehmen kann. Dabei ist aber kein Weg falsch oder ein lästiger Umweg. Im Gegenteil: je mehr Beobachtungen und Erfahrungen gesammelt werden können, umso besser: auf diese Weise unterwegs und in Bewegung begegnen einem viel mehr unverhoffte Anregungen oder auch Einsichten, als wenn man sie vorsätzlich suchen würde.

Das heißt:

  • alles, was man benötigt ist schon da - es muss nur beachtet werden
  • dies lässt sich gestalterischen Mitteln schulen
  • das Zulassen von Gefühlen - Intensitäten - ist für den kreativen Prozess wichtig
  • kreatives Handeln und ästhetische Wahrnehmung verlaufen in einem Prozess

Die Umschreibung dieser Dynamik als Prozess ist als Unterscheidung zu linearen und in erster Linie ergebnisorientierten Umsetzungsformen hilfreich. Bei kreativen Prozessen werden bestimmte Phasen unterschieden, die auch durch unterschiedliche (emotionale) Intensitäten gekennzeichnet sind:

  • die intensive Beschäftigung mit einem Problem (Präparation) - die Distanzierung
  • von dem Problem (Inkubation): unbewusste Suchphase – ihr muss Zeit eingeräumt werden
  • das Auftauchen einer spontanen Lösungsidee (Illumination)
  • das Ausarbeiten der Idee (Verifikation) (vergl. Stockhammer)

Im Unterschied etwa zu Strategien des „Problemlösungsverhaltens“ ist es im angesprochenen Zusammenhang jedoch entscheidend, kein festes Schema zu unterlegen, da in diesem „Erlebnisraum“ eine Vielzahl von unterschiedlichen Impulsen und Anmutungen begegnen, die von Gedanken über intensive Sinneswahrnehmungen, Gefühle, Bewegungsmuster, bis zu Wahrnehmungen der spezifischen Materialeigenschaften reichen.

Wir können nicht eine Form der Kreativität isolieren und uns auf bestimmte Methoden festlegen. Jedes Problem hat eine individuelle Wirklichkeit, die ihrerseits ein weites Betätigungsfeld für kreative Umgestaltung darstellt.(...) Es ist für einen freien Umgang mit der eigenen Kreativität von unerhörter Bedeutung zu begreifen, dass der „Ort“, an dem sich Kreativität „ereignet“, nicht einfach der Kopf ist, sondern etwas grundlegend anderes. Kreativität ereignet sich in unserem Erlebnisraum.“ (Brodbeck)

Nicht zuletzt eignet sich ein solcher experimenteller Schauplatz dafür, sich über seine ganz persönlichen Vorstellungen von Kreativität ein Bild zu machen und vielleicht herauszufinden, welche Motive dabei für einen selbst wichtig sind. Der Antrieb geht ja nicht davon aus, einfach einzelne Dinge herzustellen, vielmehr entsteht durch den besonderen Bezug jeweils ein kleiner Kosmos.

Ein spielerisches Vorgehen im angesprochenen Sinne kann durchaus dazu beitragen, Blockaden zu überwinden und neue Aspekte einer Situation oder einer Fragestellung zu entdecken. Nicht nur der Gegenstand der Aufmerksamkeit ändert sich, sondern auch die Haltung, die man sowohl sich selbst gegenüber, als auch zum Gegenstand oder Thema einnimmt. Mit dieser Art kreativen Spielens kann man relativ gefahrlos andere als die gewohnten Sicht- und Handlungsweisen erproben und neue Kombinationen entwickeln, die sich anschließend auch auf weitere Bereiche übertragen lassen. Mit anderen Worten: Es findet ein Perspektivwechsel statt, und es lassen sich so neue, individuelle Blickwinkel und Lernsituationen erfinden.

Stichwortartig zusammengefasst:

  • Kreativität in der ästhetischen Wahrnehmung ist nicht an besondere Formen oder Inhalte gebunden (sie kann die verschiedenen Wahrnehmungsmodi, wie Hören, Riechen, Schmecken, Tastsinn ebenso aufgreifen, wie Bewegungsformen und Sprache).
  • Das Erleben eigenständiger Handlungsfähigkeit und der eigenen Kreativität schafft einen Rahmen, in dem allerfrüheste positive Erlebnisse wiederentdeckt werden können.
  • Es kann mit den erworbenen festen Wahrnehmungsmustern gespielt werden.
  • Wichtig ist auch Beziehungsfähigkeit; diese setzt voraus, dass man auch mit sich selbst in Beziehung treten kann.
  • Dabei spielt auch das Thema „Selbstbild-Fremdbild“ eine Rolle. Das soziale Geschehen besteht im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdwahrnehmung: Wie nehme ich mich/andere wahr?

Wichtig bei diesen kreativen Streifzügen ist die „Achtsamkeit“ (Brodbeck) auf das, was einem begegnet, - seien es Ideen, Worte, sinnliche Wahrnehmungen am Material oder Assoziationen aller Art. Durch ein Wechselspiel von Wahrnehmung und Denken wird auch die Sensibilisierung für die eigenen Gefühlsmuster gefördert. Man kommt sich gewissermaßen selbst näher, indem die Aufmerksamkeit auf das, was man wahrnimmt, geschärft wird. Die gestalterischen Mittel und Abläufe befördern diese Dynamik auch durch ihre sinnlichen Qualitäten. Hier ist auch der häufige Wechsel von Aktion und sprachlicher Beschreibung hilfreich. 2)

Die in solchen Gestaltungsprozessen entstandenen Bilder und Objekte sind, wie gesagt, nicht zwangsläufig Kunst-Objekte. Man könnte vielmehr von unterschiedlichen Objekttypen sprechen:

Ensembles, Modelle, Skulpturen, Fühl/Schmuckobjekte, Anschauungsobjekte (Lehrmittel), Denkmodelle, Fühlmodelle, Nachbildungen, Spielzeug, Moment-aufnahmen, Animationen, Symbole, Zeichen, Fetische usw.

Ihr Charakter ist aber immer eher „virtueller“ Natur – sie enthalten für ihre Hersteller die intensive Erinnerung an die unterschiedlichen Verläufe des Gestaltungs-prozesses und sind daher im besten Sinne auch mit „Übergangsobjekten“ zu vergleichen. Dazu noch einmal Winnicott:

„Diese Objekte und Phänomene (wie etwa der Bettzipfel, eine Garnrolle oder x-beliebige andere, selbst gewählte Objekte) bieten dem Kind ein Etwas, das von da an seine Bedeutung für denn Menschen nicht mehr verlieren wird: einen neutralen Erfahrungsbereich, der nicht in Frage gestellt wird. Dieser Erfahrungsbereich - auch „Übergangsraum“ genannt - mündet schließlich in die Sphäre des Spiels und schließlich zum gesamten „Bereich dessen, was wir als Kultur bezeichnen.“ (Winnicott 1969)

aus:
Übergangsräume: Modellsituationen für Wahrnehmung und Gestaltung. S. 105-110
in: Vielfalt & Inklusion, Hrsg. Sabine Krönchen, Schriften des Fachbereiches Sozialwesen der HS Niederrhein, Band 51, 2010

1) der Begriff „framing“ ist bes. durch die „Hypnotherapie“ nach Milton H. Erickson und die „Neurolinguistische Programmierung“ bekannt geworden
2) Passagen aus: Luchesi, Elisabeth „Spielräume“ in: Standbein, Spielbein. Museumspädagogik Aktuell Nr. 73 Dez. 2005

Literatur:

Baier, F.X. (1998): Bewegung der Sinne. In: Sinn der Sinne. Hrg. Kunst-und Ausstellungshalle der BRD, Göttingen
Bourdieux, P. (1984): Der Raum. Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes, Köln: König
Brodbeck, K.-H. (1999) Entscheidung zur Kreativität. Darmstadt
Seel, M. (2003) Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt/M. stw 2003
Stockhammer, H. (1983): Sozialisation und Kreativität. Wien: Verl. des Verb. der wiss. Gesellschaften Österreichs
Winnicott D.W. (1969): Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. Eine Studie über den ersten, nicht zum Selbst gehörenden Besitz (zuerst als Vortrag 1951, dann engl. 1953. Dt. in Psyche 23, 1969)




Literaturanregungen
zum Thema Wahrnehmung und GefühIe

Böhme, Gernot. Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik.
i
n: Einfühlung und phänomenologische Reduktion. Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst .Thomas Friedrich, Jörg H. Gleiter (Hg.)

Böhme, Hartmut. Gefühle.
in: Wulf, Christoph (Hg.): Vom Menschen. Handbuch der Historischen Anthropologie; München 1996, S. 525–548.

Fuchs, Thomas. Zur Phänomenologie der Stimmungen.
https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/zpm/psychatrie/fuchs/Literatur/Phaenomenologie_der_Stimmungen_pdf.pdf

Gunter Gebauer, Manfred Holodynski, Stefan Koelch, Christian von Scheve.
Von der Emotion zur Sprache. Wie wir lernen, über Gefühle zu sprechen
© Velbrück Wissenschaft 2017